2. Haare – eine Wissenschaft für sich

Jedes Haar wächst aus einem Haarfollikel. Diese Mini-Organe sind in großer Zahl in die Haut fast der gesamten Körperoberfläche eingebettet. Ausgespart bleiben neben den Schleimhäuten lediglich Hand- und Fußflächen, die Lippen und die Flächen der Augenlider. Das besondere an den Follikel-Organen ist ihre zyklische Dynamik: Normalerweise gehen sie ein Leben lang durch Aufbau-, Abbau- und Ruhephasen, die das charakteristische Wachsen, Stagnieren und Ausfallen der Kopf- und Körperhaare mit sich bringen.

Inhalt

2.1 Die drei Typen von menschlichem Haar

2.2 Die Haarfollikel

Quellenangaben

2.1 Die drei Typen von menschlichem Haar

Abhängig von ihrer Lokalisierung auf dem Körper, aber auch von anderen Umständen, können Haarfollikel unterschiedliche Haare produzieren. Das reife, sogenannte Terminalhaar bildet die im Erwachsenenalter überwiegende Kopf- und Körperbehaarung (mit augenfälligen Unterschieden in Länge und Stärke, z.B. zwischen Kopf- und Schamhaar). “Unreife“ Haarvarianten sind die flaumige, farblose Lanugo-Behaarung des Embryos und das kurze, dünne Vellushaar, die präpubertäre Körperbehaarung, die auch bei vielen erwachsenen Frauen und einigen Männern in größeren Teilen erhalten bleibt.

2.1.1 Terminalhaar

  • bildet bei Erwachsenen Kopfhaar, Augenbrauen und -wimpern, Schamhaar, Achselhaar und hormonstatusabhängig weitere Teile der Körperbehaarung (Brusthaar etc.)
  • vollständig pigmentiert (sofern nicht ergraut...)
  • Durchmesser zwischen etwa 0,02 und 0,12 Millimeter (= sehr dünnes und sehr dickes Haar)
  • kann abhängig von der Länge der Wachstumsphase sehr lang werden (der im Guinness-Buch verzeichnete Weltrekord liegt bei 5,76 Meter, 2004 bei der Chinesin Xi Qiuping gemessen)
  • dreischichtiger Aufbau (Kutikula, Rinde, Mark) mit dicker, stabiler Rinde
  • Follikel ist mit einer Talgdrüse verbunden

2.1.2 Vellushaar

  • präpubertäres Körperhaar, bleibt auch nach der Pubertät teilweise erhalten (insbesondere bei Frauen)
  • schwach pigmentiert
  • sehr dünn: nicht dicker als 0,3 Millimeter
  • Länge maximal 2 Millimeter
  • zweischichtiger Aufbau ohne Mark
  • Follikel ist nicht mit einer Talgdrüse verbunden

Der Übergang zwischen Vellus- und Terminalhaar ist tatsächlich fließend: Im Laufe mehrerer Follikelzyklen kann das aus dem Follikel wachsende Haar zunehmend dicker, länger und pigmentierter werden. Das passiert, wenn bei einem Baby das erste sichtbare Kopfhaar wächst, wenn sich in der Pubertät Körperhaare vom Vellus- zum Terminaltyp transformieren – oder auch bei einer medikamentösen Behandlung der Follikel. Haar in diesem Zwischenzustand wird von einigen Fachleuten auch als Intermediär-Haar bezeichnet.[1]

2.1.3 Lanugohaar

  • embryonale Körperbehaarung, fällt normalerweise bereits vor der Geburt oder bald danach aus
  • normalerweise pigmentfrei
  • sehr dünn: nicht dicker als 0,3 Millimeter
  • etwas länger als Vellushaar, aber normalerweise nicht länger als 10 Millimeter
  • zweischichtiger Aufbau ohne Mark
  • Follikel ist mit einer Talgdrüse verbunden

Auch aus „erwachsenen“ Follikeln kann wieder Lanugo- oder Vellushaar wachsen. Oft passiert das unter eher unguten Bedingungen, wie bei sehr schlechtem Ernährungszustand, bei Erkrankungen und/oder bei Einnahme bestimmter Medikamente. Aber auch ganz normale Alterungsprozesse, Änderungen des Hormonhaushalts ohne besonderen Krankheitswert oder genetisch bedingte Sensibilitäten können die Follikel dazu bringen, statt Terminalhaar wieder Vellushaar zu produzieren und Geheimratsecken oder das typische Haarverlustmuster der männlichen Alopezie entstehen lassen.

2.2 Die Haarfollikel

Haarfollikel verschiedener Körperregionen und Entwicklungsstufen unterscheiden sich zwar in Größe und Form, im Wesentlichen sind alle Haarfollikel jedoch gleich aufgebaut. Während der zyklisch aufeinander folgenden Wachstums-, Abbau- und Ruhephasen macht ein Follikel immer wieder Veränderungen durch, in denen er seine Größe und sogar seinen inneren Aufbau deutlich verändert: auch das haben alle Follikel gemeinsam.

Haarfollikel sind längliche Einstülpungen der Oberhaut (Epidermis) in die Unterhaut (Dermis). Das Innere des Follikels ist von mehreren übereinander liegenden Zellschichten, den bindegewebigen und epithelialen Wurzelscheiden, ausgekleidet. Die äußeren Zellen des im Follikel steckenden Haarschafts und der Wurzelscheide überlappen sich jeweils schuppenartig. Da diese schuppige Struktur bei Haar und Wurzelscheide jeweils entgegengesetzt orientiert ist, verhaken sich die Schuppen ineinander und sorgen für den relativ festen Halt des Haarschafts im Follikel.

Übrigens: Ob das Haar glatt, wellig oder gelockt aus dem Follikel wächst, wird durch die Form des Follikelquerschnitts bestimmt. Ein im Querschnitt runder Follikel produziert ein im Querschnitt rundes und damit glattes, ein ovaler Follikel ein im Querschnitt ovales (also in eine Richtung bevorzugt biegbares) und damit welliges bis gelocktes Haar.

Am Rand des Follikels fällt eine kleine “Ausbeulung“ auf. Sie enthält das kostbarste Gut eines jeden Haarfollikels: Ein Häufchen Stammzellen, aus denen sich der Follikel zyklisch erneuert. Sind diese Stammzellen geschädigt – durch Bestrahlung, sehr stark zelltoxische Medikamente oder aggressive Entzündungsprozesse – kann aus dem Follikel kein Haar mehr wachsen.

An seinem unteren Ende verdickt sich der Follikel zum sogenannten Haarbulbus (Haarzwiebel). In den Bulbus ragt von unten die Haarpapille hinein. Diese enthält neben einer Blutgefäßschleife, die die Zellen des Bulbus mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, diverse spezialisierte Zellen, die an der Steuerung des Follikelzyklus beteiligt sind. Im Bulbus passiert – in der Anagenphase (Wachstumsphase) des Haarfollikels – die Magie des Haarwachstums. Dann ist die Haarzwiebel gefüllt mit sogenannten Matrixzellen und Melanozyten (Pigmentzellen).

Die Matrixzellen, aus denen die Haarzellen hervorgehen, gehören zu den dynamischsten Zellen des Körpers: In der Anagenphase teilen sie sich im Schnitt täglich und sorgen so für das Wachstum des Haarschafts. Die Abkömmlinge der Matrixzellen schieben sich im Follikel nach oben. Unterwegs werden sie noch von den Melanozyten mit bräunlichem, rötlichem oder schwarzem Melanin eingefärbt.

Je nachdem, ob sich die frisch gebackenen Haarzellen eher in der Mitte oder eher am Rand des zukünftigen Haares befinden, entwickeln sie sich etwas unterschiedlich. So entstehen auf dem Weg nach oben nach und nach Mark, Rinde und Kutikula des Haares: Etwas lockerer angeordnete Haarzellen in der Mitte, fest zu Fasern verkittete Zellen in der dicken Rinde und abgestorbene, schuppenförmig aufgelagerte Zellen am Rand. Alle Haarzellen tun, solange sie leben, überwiegend eins: Als sogenannte Keratinozyten (Hornzellen) synthetisieren sie das Protein Keratin, dessen Ketten von selbst zu elastischen, spiralig gewickelten Fädchen zusammenschnurren und die Zellen bald vollständig ausgefüllt haben.

Solange unten in der Haarzwiebel neue Haarzellen gebildet werden, wächst das Haar und schiebt sich immer weiter aus dem Follikel hinaus. An der Basis ist es eng mit der sogenannten Papille verbunden – einer kleinen Einstülpung aus dem umgebenden Hautgewebe, die Blutgefäße enthält und die Haarzellen mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt.

2.2.1 Der Follikelzyklus

Früher oder später jedoch (im Fall des Kopfhaars normalerweise nach Monaten bis Jahren) findet die Wachstumsphase ein Ende; Haar und Haarfollikel treten in die nächste Phase ihres Zyklus ein. Der Wachstumsphase folgt die Rückbildungs- oder Katagenphase: Die Matrixzellen teilen sich nicht mehr, das Haar löst sich von der Papille und wird nur noch durch die schuppige Kutikula im Follikel gehalten. Gleichzeitig schrumpft der Follikel. Die Katagenphase dauert zwei bis drei Wochen, dann tritt der verkürzte, geschrumpfte Follikel in seine wohlverdiente Ruhephase, die Telogenphase, ein. Während einiger Wochen bis Monate passiert im Wesentlichen nichts – außer dass das gealterte Haar eventuell irgendwann während dieser Zeit spontan ausfällt oder von der Haarbürste ausgerissen wird. Zu einem bestimmten Zeitpunkt wird der Follikel dann wieder aktiviert, verlängert sich, aus Stammzellen entstehen neue Matrixzellen – ein neue Anagenphase und ein neues Haar nehmen ihren Anfang.[2]

Lange wurde angenommen, dass das alte Haar, sofern es noch im Follikel steckt, einfach durch das nun entstehende Haar herausgedrückt wird. In neueren Lehrbüchern findet sich öfter eine durch aktuelle Untersuchungen motivierte, etwas revidierte Auffassung, der zufolge das alte Haar in einem vom Follikel gesteuerten Prozess aktiv abgestoßen wird. Bevor das neue Haar zu wachsen beginnt, bleibt in diesem Modell der Ereignisse der Follikel eine Weile leer. Für diese beiden Phasen wurden die neuen Begriffe Exogen- und Kenogenphase geprägt.[3]

Die Länge der Anagen- und Telogenphasen ist einerseits genetisch programmiert, wird aber zusätzlich von diversen äußeren Faktoren beeinflusst – insbesondere von den körpereigenen (u.a. Hormone) und körperfremden (Medikamente) Chemikalien, denen der Follikel ausgesetzt ist.

Anagenphase

  • aktives Wachstum eines neuen Haares
  • evtl. noch vorhandenes altes Haar wird durch das neue Haar herausgedrückt
  • Haar ist eng mit der Papille am Follikelgrund verbunden und wird durch Blutgefäße ernährt
  • Dauer: einige Monate (z.B. um zehn Wochen für Augenbrauen, um zwanzig Wochen für Wimpern) bis viele Jahre (Kopfhaar) – die Dauer der Anagenphase bestimmt die maximal erreichbare Haarlänge

Katagenphase

  • Regression des Follikels (Schrumpfung auf etwa die Hälfte der Anagenphasen-Länge, Rückbildung der Papille, keine Zellteilungsaktivität mehr)
  • Haar löst sich von der Papille, bleibt aber im Follikel verankert
  • Dauer: rund zwei Wochen

Telogenphase

  • Ruhephase des Follikels, kaum Stoffwechselaktivität der Zellen
  • Haar steckt weiterhin im Follikel, kann jedoch leichter ausfallen/ausgerissen werden als in den anderen Phasen
  • Dauer: mehrere Monate (Kopfhaar: etwa drei Monate, Augenbrauen etwa sieben Monate)

Exogen- und Kenogenphase (neuere Hypothesen)

  • Exogenphase: aktive, geregelte Abstoßung des alten Haares am Ende der Telogenphase
  • Kenogenphase: temporär “leerer“ Follikel nach Telogenphase

2.2.2 Was steuert die Entwicklung und den Zyklus der Haarfollikel?

Im Laufe der Individualentwicklung entwickeln sich die Follikel der Kopfhaut (und natürlich vieler weiterer, für das Problem Haarverlust aber weniger wichtiger Körperstellen) vom Lanugo- zum Vellus- zum Terminalhaar-produzierenden Organ. Gleichzeitig wechselt jeder Follikel zyklisch zwischen Wachstums- und Ruhephasen.

Bei Männern kann es bereits im frühen Erwachsenenalter zu unerwünschten Veränderungen im Haarzyklus (u.a. zunehmende Verkürzung der Anagenphase) und damit zur Regression des Follikels vom ausgereiften zurück zum Vellushaar-Follikel kommen.

Wodurch werden diese Veränderungen gesteuert? Maßgeblichen Einfluss auf das Verhalten eines Follikels hat die Haarpapille. Die Zellen der Papille sekretieren eine Vielfalt von Wachstumsfaktoren, die das Wachstum des Follikels und die Ausbildung des Bulbus steuern, indem sie die Stammzellen, das zu jedem Follikel gehören, zu bestimmten Zeiten dazu stimulieren, sich zu teilen und neue Matrixzellen sowie Melanozyten hervorzubringen. Die sekretorische Aktivität der Papille bestimmt die Größe des Bulbus (und damit die Dicke des wachsenden Haares), die Geschwindigkeit des Haarwachstums sowie die Dauer der Anagenphase.

Die Papille verfügt über einen eigenen „taktgebenden“ Mechanismus, der die Längen von Anagen- und Katagenphase bestimmt. Über die Natur dieses Mechanismus hat die Forschung einige Hypothesen, aber bei weitem noch keine endgültige Klarheit. Sicher ist: Sowohl die taktgebenden als auch die strukturgebenden Eigenschaften der Papille sind in großen Teilen erblich. Zusätzlich werden sie jedoch auch von äußeren Umständen beeinflusst. So entwickeln Papillen in unterschiedlichen Körperregionen eines Menschen unterschiedliche Eigenschaften (beispielsweise hinsichtlich ihrer Androgen-Sensitivität), die auch nach der Versetzung des Follikels in eine andere Körperregion erhalten bleiben können.

Der bedeutendste Einflussfaktor für das Haarwachstum beim Menschen sind die Androgene, eine Gruppe von Geschlechtshormonen, mit Testosteron und seinem nahen Verwandten Dihydrotestosteron (DHT) als wichtigsten Vertretern. Weitere Modulatoren des Haarwachstums sind zum Beispiel Stresshormone (Cortisol und Adenocorticotropin).

Testosteron ist zwar als das männliche Geschlechtshormon schlechthin bekannt – aber auch bei Mädchen und Frauen steigt der Testosteron- (und allgemein Androgen-) Spiegel in der Pubertät. Androgene werden nämlich nicht nur in den Hoden, sondern in kleineren Mengen auch in den Eierstöcken und in der Nebennierenrinde produziert. Testosteron lässt Achselhaar und Schamhaar wachsen. Dihydrotestosteron, das aus Testosteron durch eine kleine chemische Umwandlung entsteht, die durch das Enzym 5α-Reduktase katalysiert wird, stimuliert unter anderem das Wachstum des übrigen Körperhaars sowie des Barthaars. Dihydrotestosteron ist außerdem der “Hauptschuldige“ am männlichen Haarverlust.

Wie wirken Androgene auf Haarfollikel?

Die zur Zeit allgemein anerkannte Hypothese besagt, dass Androgene aus dem Blut an spezialisierte Rezeptoren von Zellen der an der Follikelbasis gelegenen Haarpapille binden und diese zur Bildung von Wachstums- bzw. Hemmfaktoren anregen, die dann wiederum die Teilungs- und Stoffwechselaktivität der Zellen des Follikels beeinflussen.

Als Schlüssel-Wachstumsfaktor wird IGF-1 (insulin-like growth factor) gesehen; als Schlüssel-Hemmfaktor gilt TGF-β (transforming growth factor). Der zwischengeschaltete Rezeptor bietet einen Erklärungsansatz dafür, warum der Effekt von Androgenen auf Haarfollikel an verschiedenen Stellen des Körpers so unterschiedlich sein kann: Er reicht von wachstumsstimulierend (Schamhaar, Barthaar, Achselhaar) über praktisch nicht existent (Wimpern) bis zu wachstumshemmend (Teile der Kopfhaut bei erblich vorbelasteten Männern). Diese Effekte können ohne weiteres simultan auftreten. Die Hypothese ist, dass die Papillen der Haarfollikel unter dem Einfluss ihrer speziellen Umgebung einen unterschiedlichen Besatz mit Androgen-Rezeptoren ausprägen bzw. in Antwort auf die Androgenbindung an ihre Rezeptoren unterschiedliche Botenstoffe aussenden.

Testosteron und Dihydrotestosteron

Heute weiß man, dass Testosteron in den Zellen vieler Zielgewebe durch das Enzym 5α-Reduktase in Dihydrotestosteron umgewandelt wird. Dihydrotestosteron (DHT) bindet wesentlich stärker an viele Androgenrezeptoren als Testosteron, kann also als biologisch wirksamer charakterisiert werden. In diesem Sinne ist Testosteron die Transportform des Hormons bzw. das Prohormon und DHT seine Wirkform.

5α-Reduktase gehört zur Ausstattung der meisten Zelltypen, die auf Testosteron ansprechen, und findet sich auch in den Haarfollikeln. Die Wirksamkeit von 5α-Reduktase-Hemmern wie Finasterid gegen androgene Alopezie erlaubt den Schluss, dass DHT in der Tat die für Haarverluste entscheidende Form von Testosteron ist.

Der Einfluss von Prostaglandinen auf das Haarwachstum: Die Forschung geht weiter

Neuere Forschungsarbeiten zum Thema Haarverlust befassen sich mit dem Einfluss einer Gruppe von sogenannten Gewebehormonen, den Prostaglandinen. Anders als die im Blut zirkulierenden klassischen Hormone, die sozusagen die “Fernpost“ des Körpers darstellen, sind Prostaglandine so etwas wie “Office-Memos“: Botenstoffe, die Informationen lokal, also an Gruppen von benachbarten Zellen übermitteln. Entsprechend werden Prostaglandine nicht zentral in spezialisierten Drüsen, sondern direkt dort im Gewebe synthetisiert, wo sie auch ihren Einfluss ausüben. Auch viele Zellen der Haarfollikel sind mit der “Maschinerie“ für die Prostaglandinsynthese ausgestattet.[4]

Mittlerweile wurde nachgewiesen, dass Prostaglandine einen ganz entscheidenden Einfluss auf Wachstum und Dynamik von Haarfollikeln haben. Dabei ist vieles zum genauen Mechanismus dieser Wirkung noch ungeklärt. Klar ist: Haar sprießt, wenn es Prostaglandinen eines bestimmten Typs (Prostaglandin F2α) ausgesetzt ist.[5] Und stellt sein Wachstum ein, wenn Prostaglandine eines anderen Typs (Prostaglandin D2) einwirken, von denen weiterhin nachgewiesen wurde, dass ihre Produktion in kahlen Kopfhautarealen gegenüber behaarten erheblich erhöht ist.[6]

Im Rahmen des bisher zusammengepuzzelten Bildes der Steuerung des Wachstums der Haarfollikel wäre es gut denkbar, dass die Prostaglandine als regulatorisches Zwischenglied zwischen die Androgene und die lokalen Wachstums- und Hemmstoffe (IGF-1 und TGF-β) geschaltet sind. Es wäre denkbar, dass die Synthese von Prostaglandinen in Haarfollikeln oder benachbarten Zellen durch Dihydrotestosteron stimuliert wird, und dass Prostaglandine wiederum die Synthese der lokalen Botenstoffe anregen. Aber wirklich nachgewiesen ist noch nichts davon.

Und auch im Rahmen dieser erweiterten Hypothese bleibt schmerzlich ungeklärt und unadressiert, warum bei manchen Menschen die Haarfollikel der Kopfhaut unter dem Einfluss von Testosteron schrumpfen. Wir wissen oder vermuten zwar nun, dass das auf dem Weg über Dihydrotestosteron und Prostaglandin D2 geschieht – aber diese Details bringen uns in unserem Verständnis der Ursachen des Problems nicht so viel weiter, wie es zunächst vielleicht den Anschein hat. Allerdings hat die Entdeckung des Einflusses der Prostaglandine eine neue Möglichkeit der pharmakologischen Beeinflussung des Follikelwachstums eröffnet.

2.2.3 Follikuläre Einheiten

In der modernen Haartransplantationsmedizin ist viel von den sogenannten Follicular Units (Follikuläre Einheiten, abgekürzt FU) die Rede: Die beiden aktuell wichtigsten Transplantationsverfahren FUT (Follicular Unit Transplantation) und FUE (Follicular Unit Extraction) tragen den Begriff sogar direkt in ihrem Namen.

Um zu verstehen, was eine follikuläre Einheit ist, muss man wissen, dass die typische Illustration, die einen einzelnen Haarfollikel darstellt, aus dem wiederum ein einzelnes Haar sprießt, in einer Hinsicht ein bisschen irreführend ist. Eigentlich stehen die meisten Follikel der Kopfhaut nämlich nicht isoliert in der Haut, sondern bilden Gruppierungen von zwei bis vier Terminalhaar- und einem bis zwei Vellushaarfollikeln, die nicht nur dicht zusammenliegen, sondern deren Haarkanäle sich in den oberen Hautschichten sogar miteinander vereinigen können, so dass aus einem einzigen Follikelkanal an der Oberfläche der Kopfhaut typischerweise zwei, drei oder sogar vier Haare wachsen.[7] Die Follikel dieser eng zusammenhängenden Gruppe sowie die dazugehörigen Talgdrüsen und Haarbalgmuskel bilden eine follikuläre Einheit.

Quellenangaben

(1) Hair Growth and Disorders. U. Blume-Peytavi, A. Tosti, D.A. Whiting & R.M. Trüeb (Herausgeber) Springer Verlag Berlin Heidelberg (2008), S. 10

(2) Taschenlehrbuch Histologie. Renate Lühmann-Rauch. Thieme (2006) S. 533

(3) Hair Growth and Disorders. U. Blume-Peytavi, A. Tosti, D.A. Whiting & R.M. Trüeb (Herausgeber) Springer Verlag Berlin Heidelberg (2008), S. 12