3.3 Alopecia areata - der kreisrunde Haarausfall

Inhalt

3.3.1 Wie häufig ist Alopecia areata?
3.3.2 Was sind die Ursachen der Alopecia areata?
3.3.3 Lässt sich Alopecia areata behandeln?

Quellenangaben

Die Alopecia areata, auch kreisrunder Haarausfall genannt, zeichnet sich durch klar begrenzte Areale von totalem Haarverlust aus. Typischerweise handelt es sich um eine oder mehrere etwa münzgroße, meist runde oder ovale kahle Stellen auf der Kopfhaut. Häufig ist eine Seite des Kopfes stärker betroffen als die andere. Der Haarverlust kann zusätzlich im Gesicht (Bartbereich, Augenbrauen, Wimpern) und am Körper auftreten. Die Haarfollikel werden durch Alopecia areata nicht permanent geschädigt, trotzdem ist die Erkrankung bei vielen Betroffenen langwierig bzw. tritt in immer wieder neuen Schüben auf.

Bei schweren Verläufen dehnen sich die kahlen Flecken aus, gehen ineinander über und nehmen größere Anteile der Kopfhaut ein. Eine Sonderform ist die Alopecia ophiasis: Hier fällt das Haar im gesamten Schläfen-, Ohren- und Nackenbereich aus. Bei einer weiteren Sonderform, der Alopecia barbae, sind nur Wangen und Kinn von Männern betroffen. Im seltenen Extremfall kann die Krankheit bis zu totalem Haarverlust im Kopfbereich (Alopecia totalis, inklusive Augenbrauen und Wimpern) bzw. am gesamten Körper (Alopecia universalis) fortschreiten. Auch eine diffuse Sonderform der Alopecia areata tritt auf, hier wird die Diagnose durch die Ähnlichkeit mit anderen Formen des diffusen Haarausfalls erschwert.

Die Haut der haarlosen Stellen sieht glatt, normal und gesund aus, mitunter tritt eine gewisse Rötung auf. Bei der Diagnostik wird auch nach sehr kurzen, abgebrochenen Haaren, den sogenannten Ausrufezeichenhaaren gesuchtt, die im Randbereich von Stellen mit aktiver Alopecia areata auftreten.

Der Haarausfall im Rahmen einer Alopecia areata kündigt sich manchmal durch ein Brennen oder Jucken an und schreitet häufig sehr schnell voran. Meist kommt er nach einiger Zeit zum Stillstand, und neue Haare wachsen nach. Phasen von Haarausfall, Neuwachstum und Stabilisierung können sich in kürzeren oder längeren Abständen wiederholen; Voraussagen sind nicht möglich. Allerdings scheinen Rückfälle interessanterweise im Februar und März gehäuft aufzutreten.[1] Letztlich verschwindet die Erkrankung bei etwa der Hälfte der Betroffenen irgendwann spontan. Das Risiko eines Fortschreitens zur Alopecia totalis oder universalis wächst jedoch mit dem Umfang des Haarausfalls. Ist die Erkrankung bis zu diesen Stadien fortgeschritten, sinkt die Chance auf Spontanheilung.[2]

3.3.1 Wie häufig ist Alopecia areata?

Der deutsche Betroffenenverband Alopecia Areata e.V. schätzt, dass die Symptomatik in Deutschland bei über 1,5 Millionen Menschen zeitweise oder permanent auftritt[3]; weltweit entwickeln etwa 2 Prozent der Menschen im Laufe ihres Lebens Alopecia areata.[4] Die Krankheit tritt bei Frauen und Männern etwa gleich häufig auf und grundsätzlich in jedem Alter einsetzen. Die Betroffenen sind meist ansonsten gesund, es gibt lediglich eine gewisse Assoziation des kreisrunden Haarausfalls mit Autoimmunerkrankungen wie Allergien, Neurodermitits, Asthma oder Schilddrüsenunterfunktion.[5]

3.3.2 Was sind die Ursachen der Alopecia areata?

Die Alopecia areata gibt der Wissenschaft noch größere Rätsel auf als die androgenetische Alopezie.[6] Die meisten Forscher sind sich allerdings einig, dass es sich um eine Gruppe von zumindest teilweise erblichen Autoimmunerkrankungen handelt, bei denen sich das Immunsystem des Körpers gegen die eigenen in der Anagenphase befindlichen Haarfollikel wendet. Dabei sammeln sich Entzündungszellen um Haarfollikel in der Anagenphase (unter dem Mikroskop zeigen sich in biopsierter Kopfhaut sogenannte „Bienenschwärme“ von T-Lymphozyten um die Anagen-Follikel der Probe[7]) und attackieren die Follikel so lange, bis die Anagenphase zu einem verfrühten Abschluss kommt.

Eventuell könnten unbekannte kleine Fehlfunktionen der farbstoffproduzierenden Zellen im Follikel, der Melanozyten, den Reiz für das Immunsystem darstellen. Grundlage dieser Hypothese ist die Tatsache, dass weißes Haar nicht oder erst sehr spät im Erkrankungsverlauf angegriffen wird (solche Verläufe lassen interessanterweise den – falschen – Eindruck entstehen, die Betroffenen seien quasi “über Nacht“ vollkommen ergraut).[8]

3.3.3 Lässt sich Alopecia areata behandeln?

Ähnlich wie die androgene Alopezie bedeutet auch die Alopecia areata keine Einschränkung der sonstigen körperlichen Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Gewisse typische Assoziationen mit gesundheitlichen Einschränkungen (metabolisches Syndrom bei androgenetischer Alopezie, Erkrankungen aus dem Autoimmunspektrum bei Alopecia areata) sind bei beiden Formen von Haarverlust möglich, aber wohl nicht die Regel. Nicht zu unterschätzen ist die trotz ihrer relativen Häufigkeit wenig bekannte Erkrankung dagegen als Quelle von psychologischem Leidensdruck.

Eine ursächliche Behandlung bzw. Heilung ist nicht möglich. In der Frage, ob behandelt werden sollte oder nicht, nehmen die Spezialisten unterschiedliche Standpunkte ein. Einige halten angesichts der recht hohen Wahrscheinlichkeit von Spontanremissionen die Nebenwirkungen der standardmäßigen Behandlungsoptionen für schwerwiegender als den zu erwartenden Nutzen. Andere argumentieren trotzdem für einen raschen Behandlungsbeginn.

Wenn zunächst abgewartet werden soll, ob eine Spontanheilung eintritt, wird meist ein Zinkpräparat zur oralen Einnahme verschrieben. Zink ist ein Regulator des Immunsystems.

Behandlung mit Glukokortikoiden

Der Einstieg in die medikamentöse Behandlung erfolgt bei Alopecia areata heute gewöhnlich mit stark wirksamen lokal angewandten Glucocortikoiden (Cortison & Co., meist Mometasonfuroat, Betamethason oder Clobetasol), die die Immunreaktion unterdrücken und den Haarfollikeln ermöglichen, sich wieder zu erholen. Es gibt allerdings keine Garantie, dass die Entzündung nach dem Absetzen des Medikaments nicht wieder aufflammt. Da Glucocortikoide in jedem Fall nicht dauerhaft angewendet werden können (dann kommt es zu Atrophien – Dünnerwerden – der Haut), verzichten viele Patienten irgendwann auf diese Behandlung.

Neben glucocortikoidhaltigen Tinkturen, Cremes oder Schaumpräparaten gibt es auch die Möglichkeit, diese Wirkstoffe unter die Haut der betroffenen Stellen zu injizieren (intraläsionale Injektion von Glucocortikoiden). Damit werden auch tiefer liegende Hautschichten erreicht, und die Ergebnisse sind tendenziell besser.

Bei ausgedehnter Alopecia areata können systemische Glucocortikoide (Prednisolon) und andere Immunsuppressiva verordnet werden – diese Tabletten können allerdings erhebliche Nebenwirkungen haben. Angesichts der Tatsache, dass Alopecia areata nicht die Gesundheit bedroht, muss individuell abgewogen werden, ob der Austausch von haarlosen Stellen gegen Infektanfälligkeit, Gewichtszunahme, Ödeme in den Beinen, geschwollenes Gesicht und andere unerfreuliche Effekte wirklich als vorteilhaft empfunden wird.

Topische Immuntherapie

Eine weitere aktuell gegebene Möglichkeit ist die sogenannte topische Immuntherapie mit Kontaktallergenen. Hier soll – sozusagen – der Teufel Haarausfall mit dem Beelzebub allergische Reaktion ausgetrieben werden: Ein Handel, auf den, so er denn funktioniert, sich viele Alopecia areata-Betroffene gern einlassen. In mehreren Studien sprachen im Schnitt deutlich über die Hälfte der Anwender auf die Therapie an. Nach Abschluss der Behandlung kam es längerfristig allerdings bei rund 70 % der Patienten wieder zum Rückfall.[9]

Bei der topischen Immuntherapie wird wöchentlich ein hautreizender Stoff mit dem Ziel der Erzeugung eines Kontaktekzems auf die Kopfhaut aufgetragen – populärwissenschaftlich erklärt wird dieser Therapieansatz damit, dass er das Immunsystem quasi vom Angriff auf die Haarfollikel “ablenken“ soll. Verwendung finden in erster Linie DPCP (Diphencyprone) und SQADBE (Quadratsäuredibutylester) – beide Kontaktallergene lösen Rötungen der Kopfhaut aus, die von Juckreiz, Schuppenbildung und Lymphknotenschwellungen begleitet sind. Diese für den Therapieeffekt erforderlichen Erscheinungen sind individuell unterschiedlich stark ausgeprägt. Eventuell kann sich die allergische Reaktion über den Anwendungsbereich hinaus ausbreiten, und/oder es kann zur Bildung nässender Blasen kommen. Dann muss die Wirkstoffdosis verringert werden.

Nach einer mehrwöchigen Periode der Dosisfindung wird die Therapie meist für ein bis anderthalb Jahre fortgesetzt und schließlich durch “Ausschleichen“, also durch eine allmähliche Reduzierung der Wirkstoffkonzentration, beendet.

Eine Alternative zur Behandlung mit DPCP oder SQUADBE, die wöchentlich in der Praxis des Dermatologen durchgeführt wird, ist die häusliche Anwendung einer Salbe mit Dithranol bzw. Cignolin. Die Substanz irritiert die Kopfhaut und erzielt ähnliche haarwuchsfördernde Resultate wie die topische Immuntherapie.

Die Kombinationstherapie (täglich Cignolin plus wöchentlich DPCP) brachte in einer Studie etwa doppelt so gute Erfolge wie die Einfachtherapie mit DPCP.[10]

Haartransplantationen bei Alopecia areata

Generell werden Haartransplantationen bei Alopecia areata nicht durchgeführt – das Risiko, dass auch die transplantierten Haarfollikel vom Immunsystem angegriffen werden, ist hoch. In der medizinischen Fachliteratur gibt es wenige Berichte über experimentelle Transplantationen von Augenbrauen und Kopfhaar bei Alopecia areata. In den meisten Fällen kam es zum Rückfall: Die transplantierten Haare gingen nach einigen Jahren wieder verloren bzw. konnten nur durch regelmäßige Kortisoninjektionen erhalten werden.[11][12][13][14]

Minoxidil

Minoxidil findet auch bei Alopecia areata Anwendung. Studienergebnisse, die meist aus den 1980er Jahren stammen, weisen darauf hin, dass die abendliche Behandlung der Kopfhaut mit Minoxidil (einige Studienautoren betonen dabei die Notwendigkeit, die behandelten Areale über Nacht luftdicht abzudecken[15]) dosisabhängig (1 bis 5-prozentige Minoxidillösung) bei milderen Formen von Alopecia areata bei mindestens der Hälfte der Anwender sichtbare Ergebnisse erzielt[16][17], während bei Alopecia totalis oder universalis eher ausbleibende bis wenig ausgeprägte Wirkungen erwartet werden sollten.[18][19][20] Kosmetisch wirklich akzeptable Resultate werden allerdings nur in den wenigsten Fällen erreicht, was die relativ mühselige Behandlung für die meisten Betroffenen wenig lohnend machen dürfte.[21] Bei Frauen kommt – insbesondere bei höheren Dosierungen – das Problem möglicherweise wachsender Gesichtsbehaarung hinzu.

In einigen in den letzten Jahren in der Fachpresse publizierten Untersuchungen wurde Minoxidil in der Hoffnung auf Synergieeffekte in Kombination mit anderen Therapeutika angewendet – mit unterschiedlichem, aber niemals durchschlagendem Erfolg: So zusammen mit Microneedling, mit topischer Immuntherapie[22][23] und im Anschluss an eine sechswöchige systemische Glucocortikoidbehandlung mit Prednison, wo Minoxidil den durch Prednison erzielten Haarwuchs für einige Monate gut, jedoch nicht langfristig stabilisierte.[24]

Alopecia areata-Betroffene wissen: “Durchschlagender Erfolg“ lässt sich in der Regel mit keiner der bekannten Einzeltherapien erzielen. Das Management der Erkrankung schließt oft verschiedene Therapiekomponenten ein – und als eine solche Therapiekomponente hat auch Minoxidil in der modernen Dermatologie bei Alopecia areata nach wie vor einen festen Platz.[25]

Experimentelle Therapien

Auf dem Gebiet der Alopecia areata gibt es recht viele experimentelle Therapien, über deren Wirksamkeit und langfristige Sicherheit noch kein abschließendes Urteil möglich ist. Viele dieser experimentellen Therapien involvieren Immunmodulatoren. Zu diesen gehören die systemische Behandlung mit den sogenannten Januskinasehemmern (JAK-Inhibitoren; hierzu laufen aktuell mehrere klinische Studien), mit Interleukinen und Statinen. Erfolgversprechend erscheinen weiterhin die Therapie mit lokalen Injektionen von angereichertem Eigenplasma (Plättchenreiches Plasma [26] und die Kombinationstherapie mit dem Immunsuppressor Cyclosporin A und Glucocorticoiden.[27]

Es liegt in der Natur der Sache, dass die Möglichkeit, experimentelle Therapien auszuprobieren, im normalen dermatologischen Alltag für Patienten nicht gegeben ist. Patienten, die an Universitätskliniken in Behandlung sind, haben mitunter die Chance, an klinischen Studien teilzunehmen, in denen neue Behandlungen getestet werden.

Quellenangaben

(1) www.researchgate.net/publication/297829588_Seasonal_relapses_in_alopecia_areata

(2) www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5939003/

(3) kreisrunderhaarausfall.de/alopecia-areata-kreisrunder-haarausfall/

(4) books.google.fr/books

(5) www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5939003/

(6) www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4094373/

(7) www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5939003/

(8) www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4094373/

(9) www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3002409/

(10) www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/haut-krankheiten/article/879790/schwerer-haarausfall-therapie-reicht-oft-nicht.html

(11) onlinelibrary.wiley.com/doi/pdf/10.1111/j.1524-4725.2008.34330.x

(12) www.ijdvl.com/article.asp

(13) www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16502201

(14) onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/j.1346-8138.2010.00872.x

(15) www.jaad.org/article/S0190-9622(87)80003-8/pdf

(16) www.jaad.org/article/S0190-9622(87)70095-4/pdf

(17) www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/3549811

(18) www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/3292159

(19) www.jaad.org/article/S0190-9622(87)70096-6/pdf

(20) www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28150660

(21) jamanetwork.com/journals/jamadermatology/article-abstract/546051

(22) www.jidonline.org/article/S0022-202X(15)42178-5/pdf

(23) jamanetwork.com/journals/jamadermatology/article-abstract/551835

(24) jamanetwork.com/journals/jamadermatology/article-abstract/554501

(25) www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4569105/

(26) www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5939003/

(27) www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4903973/